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Beistand nur mit Abstand? Trauer in Zeiten von Corona

Damit sich das Coronavirus nicht weiter verbreitet, verzichten wir seit Monaten auf Berührungen und gehen zu anderen auf Distanz. Das hat unseren Alltag massiv verändert. Wer jedoch um einen geliebten Menschen trauert, spürt ein besonderes Bedürfnis nach Nähe. Hinterbliebene fühlen sich dann oft einsam und müssen sich zudem mit Dingen befassen, die schon in einer Zeit ohne Corona schwer zu bewältigen waren. Sarah Benz begleitet diese Menschen bei ihrer Trauer. Als Bestatterin ermutigt sie allen Einschränkungen zum Trotz dazu, den Prozess selbstbestimmt zu gestalten, wenn eben „der Tod ins Leben tritt“.

Mann, Frau und zwei Mädchen, schwarzgekleidet, von hinten, gehen eine Friedhofsallee entlang.
Infolge der Corona-Pandemie sind große Trauerfeiern derzeit nicht möglich. Viele Bestattungsunternehmen bieten jedoch alternative Formen des Abschieds an. Foto: Kzenon / Adobe Stock

Wenn man sich mit anderen Menschen unterhält, dann geht es dabei meist um die Gesundheit, die Politik oder schlicht ums Wetter. Nur über den Tod spricht kaum jemand, schon gar nicht über den eigenen. Wir blenden die Endlichkeit des Lebens und alles, was mit dem Sterben zu tun hat, gerne aus. Dabei begleitet uns das Thema doch spätestens seit Corona eigentlich täglich. 

Trauer ist nicht nur schwarz, sondern etwas sehr Persönliches

Mit Sarah Benz kann man über das Wetter genauso unbefangen reden wie über das Sterben. Wie kommt das? Eigentlich, so sagt sie, sei sie ursprünglich Musikerin und Sozialpädagogin. Doch dann erzählt sie von ihrer Arbeit als Trauerbegleiterin, als Notfallseelsorgerin – und als Bestatterin. Die Musikerin nimmt man ihr sofort ab. Bei den anderen Berufen aber hat man unwillkürlich andere Bilder vor Augen, eine andere Vorstellung davon, wie jemand aussieht, der eine solche Arbeit macht. Spricht man Sarah Benz darauf an, seufzt sie kaum hörbar und man ahnt im gleichen Moment, dass der Einwand für sie keinesfalls neu ist. Sie holt noch einmal tief Luft und erklärt: „Tod und Trauer sind eben nicht nur schwarz. Nur weil etwas traurig ist, muss ich das ja nicht noch verstärken, indem ich auch ganz traurig gucke.“ Die meisten Bestattungen, sagt sie, habe sie nicht in Schwarz gemacht, sondern in Grün. Auch die meisten ihrer Toten hätten keinen Anzug an. Letztens erst habe sie einen jungen Mann bestattet, da sagte dessen Freund zu ihr: „Der soll lieber das schöne bunte Hemd anziehen, das hat er immer so gerne gemocht!“

Persönlich Abschied zu nehmen ist derzeit enorm schwierig

Das Coronavirus schränkt unseren Alltag ein. Das endet noch nicht einmal mit dem Tod. Sich etwa persönlich von Covid-19-Verstorbenen zu verabschieden, sagt Sarah Benz, sei derzeit sehr schwierig. Nach diesem Satz macht sie eine Pause. Sie sucht kurz die richtigen Worte, dann bekräftigt sie ihre grundsätzliche Haltung: „Ich denke mir, jeder Mensch hat das Recht, seinen Toten zu sehen. Und ich als Bestatterin darf das niemandem verbieten, sondern muss es möglich machen.“Ob man eine verstorbene Person noch einmal sehen oder gar berühren möchte, ist natürlich eine individuelle Entscheidung. So wie Trauer an sich etwas sehr Persönliches ist. Sarah Benz möchte, dass Trauernde diesen Prozess für sich selbst gestalten können. Ihre Aufgabe als Bestatterin sei es, hierfür die Möglichkeiten aufzuzeigen. Oft, so sagt sie, habe sie dabei das Gefühl, dass sie einen Raum öffne, in dem die Menschen sich dann bewegen können, weil sie plötzlich nicht mehr so eingeengt sind. Dabei sei es wichtig, Dinge so lange wie möglich offen zu lassen und eben nicht alles schon in einem ersten Gespräch entscheiden zu müssen. Sarah Benz erinnert sich an eine Frau, die ihren verstorbenen Mann zunächst partout nicht noch einmal sehen wollte. Dann jedoch brachte sie seine Kleidung vorbei und sagte, sie wolle ihn nun doch noch einmal „kurz angucken“ und ihm ein paar Dinge mitgeben. Also, sagt Sarah Benz, habe sie die Frau allein gelassen und sei nach draußen gegangen. Als sie weiterredet, huscht ein Lächeln über ihr Gesicht: „Naja, und dann stand ich eine ganze Stunde frierend auf dem Hof und habe gewartet. Aber diese Zeit mit ihrem verstorbenen Mann war eben für die Dame total wichtig.“

Der Tod ist nun einmal die ultimative Ohnmachtserfahrung

Wenn wir einer Sache ohnmächtig gegenüberstehen, dann ist das nur schwer auszuhalten. Und der Tod ist nun einmal die ultimative Ohnmachtserfahrung. Immer wieder erlebt es Sarah Benz, dass Menschen versuchen, das Sterben mit Kategorien wie Alter oder Vorerkrankungen ins Verhältnis zu setzen. Als wenn das irgendeine Rolle spielen würde für den Schmerz der Menschen, die zurückbleiben. 
An diesem Schmerz hat die Pandemie grundsätzlich nichts verändert. Natürlich lässt uns auch das Coronavirus Ohnmacht erfahren. Gleichzeitig zwingt es uns aber auch, zu handeln, uns Antworten zu suchen, wie wir den Verlust eines geliebten Menschen vielleicht auf andere Weise verarbeiten können. Es hilft, wenn man diesen Weg nicht alleine gehen muss, wenn man dabei eine Begleitung hat, jemanden wie Sarah Benz.

Ich sehe Traurigkeit, aber was ich noch mehr sehe, ist Liebe

Wie aber ist es umgekehrt, wenn man immer wieder mit dem Leid anderer zu tun hat, ist das nicht furchtbar traurig? Die Bestatterin schüttelt ihren Kopf. Dann sagt sie: „Ich muss ganz ehrlich sagen, ich sehe viel Traurigkeit, aber was ich noch viel mehr sehe, ist Liebe. Da ist so viel Liebe: die Frau, die ihren toten Mann erst angezogen und gekämmt hat und ihn dann noch ganz lange gestreichelt und mit ihm geredet hat. Da haben wir alle geweint, weil es so schön war. Und ich war froh, dass ich dabei sein durfte und das möglich machen konnte.“